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Sind wir nicht alle ein bisschen "Jonas"? .... oder: warum fliehen wir vor unserem Licht und unserer Berufung?

Der „Jonas-Komplex“ oder das „Jonas-Syndrom“ bezeichnet etwas, das wohl die allermeisten Menschen kennen:


Zu wenig Selbstwertgefühl, zu wenig Zutrauen in seine ureigensten Potentiale.

Die Tendenz, vor Herausforderungen ersteinmal den Kopf einzuziehen, in Deckung zu gehen oder zu flüchten. Und ein Quentchen Bequemlichkeit.


Die meisten werden auch ihn kennen: Jonas, der aus der Bibel, den der berühmte Wal verschluckt hat. Ich muss zugeben, soweit war mir Jonas bekannt. Aber das war es auch schon.

 

Jonas war ein Prophet und Prediger. Gott wusste das. Jonas nicht. Gut - in seinem Innersten wahrscheinlich schon. Aber wer hört schon auf sein Innerstes, wenn es etwas sein könnte, das man sich nicht zutraut, oder das mit Anstrengung verbunden ist.

Er bekam den Auftrag von Gott, in die Stadt Ninive zu reisen, um dort mittels seiner brillanten Rednerfähigkeiten die Menschen zur Räson zu bringen. Doch Jonas war anderer Meinung. Er weigerte sich mit der Begründung, kein besonders guter Prediger zu sein, und reiste per Schiff - in die andere Richtung. Er entzog sich also der Herausforderung. Da Gott nunmal Gott ist und der Meinung war, keinem Fehler unterlegen zu sein und die Talente von Jonas durchaus richtig einschätzen zu können, ließ er das Schiff in einen Sturm geraten, Jonas über Bord gehen und schickte den Wal, der ihn in sich aufnahm und an Land wieder ausspuckte - natürlich in Ninive. Nun nahm Jonas den Auftrag -wohl oder übel- an, ging in die Stadt und predigte den Bewohnern ... mit Erfolg.

Der Begriff „Jonas-Syndrom“ bzw. „Jonas-Komplex“ wurde begründet von dem amerikanischen Psychologen Abraham Maslow, der sagte: „Wir haben genau so viel Angst, unser Potential auszuschöpfen, wie zu versagen. Wir fürchten uns ganz allgemein davor, das zu erreichen, was uns einen kurzen Augenblick lang möglich erscheint.“

Viele von euch kennen sicherlich den wundervollen Text von Marianne Williamson (aus „Return to love“), der -so sagt man- von Nelson Mandela in seiner berühmten Rede zitiert wurde. Ich möchte ihn hier gerne einstellen, weil ich finde, man kann ihn nicht oft genug lesen (und verinnerlichen!):

 

Unsere größte Angst

Unsere größte Angst

(Marianne Williamson "A Return To Love" - zitiert von Nelson Mandela in seiner Antrittsrede zum Präsidenten von Südafrika im Jahre 1994)

 

„Unsere größte Angst ist nicht, unzulänglich zu sein.
Unsere größte Angst ist, grenzenlos mächtig zu sein.


Unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, ängstigt uns am meisten.
Wir fragen uns: Wer bin ich denn, dass ich so brillant sein soll?
Aber wer bist du, es nicht zu sein?


Du bist ein Kind Gottes.
Es dient der Welt nicht, wenn du dich klein machst.
Sich klein zu machen, nur damit sich andere um dich herum nicht unsicher fühlen, hat nichts Erleuchtetes.
Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, der in uns ist, zu manifestieren.
Er ist nicht nur in einigen von uns, er ist in jedem Einzelnen.


Und wenn wir unser Licht scheinen lassen, geben wir damit unbewusst anderen die Erlaubnis, es auch zu tun.
Wenn wir von unserer eigenen Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch die anderen.“

Dieses LICHT in uns, dieses ungeheure Potential, ein goldener Kern - der „göttliche Funke“ … wie großartig muss es sein, das zu leben! Ohne sich über andere zu erheben, sondern nur über unsere eigene Angst, wirklich groß zu sein. Wir schieben vor, bescheiden sein zu müssen und demütig. So, wie wir es gelernt haben von unseren Eltern, und sie von ihren Eltern, usw.

„Für manche Menschen sind dieses Zurückschrecken vor dem eigenen Wachstumspotenzial, dieses Zurückschrauben eigener Erwartungen, diese Furcht, sich völlig aufzugeben, die freiwillige Selbstverstümmelung, die angebliche Dummheit, die falsche Bescheidenheit - in Wahrheit nichts als Furcht vor der Großartigkeit…“ (Abraham Maslow)

Es gibt Momente, in denen viele Menschen einen kleinen Funken, eine Sekunde dieser Großartigkeit erleben. In einem intensiven Traum zum Beispiel, oder in einer tiefen Meditation. Vielleicht kann man das tatsächlich so ausdrücken, dass man in diesem Moment „Gott schaut“. Ich habe solche Momente zweimal erlebt - und es ist unbeschreiblich. In einem solchen Moment hatte ich das Gefühl, dass DAS die bedingungslose Liebe sein muss, von der man immer spricht. Man möchte ab sofort nur noch in diesem Gefühl sein.

Warum fällt es uns Menschen so schwer, unser Potential, das in uns liegt, zu befreien, es anzuerkennen, überhaupt: es auch nur für möglich zu halten, dass es da ist?

Wir glauben immer erst, dass wir etwas Besonderes sind/getan haben/geschafft haben, wenn man uns das sagt. Und zwar mehr als einmal und von mehreren Seiten! Ständig. Anerkennung von außen ist uns so wichtig, in Form von Erfolgen (z.B. bei unserer Arbeit) und Lob. Davon machen wir unseren Wert abhängig.

 

Was aber, wenn diese äußeren "Beweise" ausbleiben? Sind wir dann nichts mehr wert? Was und wer sind wir dann? Und warum sind wir dann überhaupt?

Ja, natürlich, es ist wundervoll und großartig, gesehen und anerkannt und v.a. gelobt zu werden. Wem würde das nicht gefallen? Menschen brauchen das. Das hat mit unserem Sein als soziales Wesen zu tun. Doch mir scheint, wir sind ziemlich abhängig davon. Abhängigkeit ist selten gut.

 

Angst vor Mächtigkeit und Macht

Ich hatte kürzlich in einer Meditiation ein inneres Bild von einem riesenhaft großen Uhrwerk mit all seinen tausenden und abertausenden Rädchen und Schräubchen und Federn. Und da war ein klitzekleines Schräubchen mittendrin. Leicht zu übersehen. Doch dann fiel dieses Schräubchen heraus, einfach so. Und was passierte?

Nichts funktionierte mehr. Alles fiel ins Chaos, verhedderte sich, andere Schräubchen und Rädchen, kleine und größere, fielen nacheinander heraus, und das große wundervolle Uhrwerk war dahin.

Ich dachte „jaja, schon verstanden, ich bin wichtig und ich bin wertvoll“. Ich bin ja schließlich nicht umsonst und zufällig auf dieser Welt. Muss ja einen Sinn haben.

 

Mit dem Kopf wissen wir das alles. Aber im Herzen muss es ankommen.

Ich bemühe noch einmal die ersten Zeilen von Marianne Williamsons Text:
Unsere größte Angst ist nicht, unzulänglich zu sein.
Unsere größte Angst ist, grenzenlos mächtig zu sein.

Unzulänglich zu sein ist sehr wohl eine große Angst vieler Menschen. Wohl deshalb sind wir so angewiesen auf lobende, bewundernde, aufbauende Worte und Gesten von außen.

Aber ich denke, sie hat Recht, wenn sie schreibt, dass es nicht unsere größte Angst ist. Die Angst vor Unzulänglichkeit (nicht gut genug zu sein, zu dumm zu sein, zu klein zu sein, nur durchschnittlich zu sein etc.) ist ja vielleicht nur eine Alibifunktion, um sich nicht mit der noch größeren Angst vor Mächtigkeit auseinandersetzen zu müssen?

Es ist relativ leicht, sich selbst klein zu machen und damit den Herausforderungen des Lebens und v.a. unseren persönlichen Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. Verdrücken wir uns also lieber und hoffen, dass der Kelch an uns vorübergeht.

MACHT assoziieren wir oft automatisch mit Machtmissbrauch. Mit Gurustatus. Mit Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Aber es hat auch zu tun mit SELBSTermächtigung.

Jeder Mensch hat die Möglichkeit, die Macht über sich selbst zu erlangen: über sein Denken, sein Handeln, über jeden einzelnen Schritt. Auch darüber, wie er über sich selbst denkt, und darüber, ob er seine natürliche Macht anerkennen möchte. Macht zu haben bedeutet nicht automatisch etwas Negatives. Es heißt z.B., der MACHer seines eigenen Lebens zu sein.

Es bedeutet auch, sich den eigenen Wert zuzugestehen.

 

Unsere Essenz: wie wir gemeint sind

Wie kann ein Mensch NICHT wertvoll sein? Für irgendjemanden und für irgendetwas auf der Welt ist jeder Mensch wertvoll und wichtig. Diese Wichtigkeit, dieser Wert hängt zusammen mit den Lebensaufgaben, die wir mitbekommen. Mit der Berufung, die jeder Mensch hat. Ob er sie nun findet oder nicht: sie existiert. Jeder Mensch hat mindestens ein Talent. Dieses Talent gilt es zu finden und zu fördern, zu befreien. Es ist unser Potential, das wir inne haben. Das ist es, was uns unseren Wert gibt.

Und wenn nichts mehr im Außen da ist, woran wir unseren Wert festmachen können? Wenn alles wegbricht? Was bleibt da von uns?


WIR SELBST bleiben. Unsere Essenz. Das was wir im tiefsten und höchsten Sinne SIND.

Wie Gott uns gemeint hat.

Kommentare: 5
  • #5

    Corinna (Mittwoch, 09 Januar 2019 13:08)

    Ich danke euch allen von Herzen für eure Worte und Feedbacks!
    Ja, ich muss diesen Text und das Gedicht von Marianne Williamson selbst immer wieder lesen, um mich zu erinnern.

  • #4

    Claudia (Mittwoch, 09 Januar 2019 12:42)

    Danke für diesen Artikel: den werde ich immer mal wieder lesen und mich daran erinnern, wer ich wirklich bin. Göttlich, meine Liebe - so wie du bist! Von Herzen danke für die Erinnerung daran, liebe Corinna!

  • #3

    Michaela Höss (Samstag, 09 Juni 2018 11:55)

    Ich bin mir bewusst dass nichts ohne Grund geschieht. Darum lese ich diese Zeilen gerade in diesem Moment wo ich mich frage wohin geht es mit meiner Arbeit wirklich? Bin ich „echt“ mit meinem Anliegen einen bewussten und vor allem wertschätzenden Umgang mit dem Alter zu leben? Wie kann ich diese Werte in bestmöglicher Art und Weise verbreiten? Ist es tatsächlich meine Aufgabe in diesem Leben. Danke von Herzen für diesen Artikel ��

  • #2

    Susanne J. Erber (Samstag, 19 Mai 2018 13:49)

    Hallo Corinna, ich bin gerade über deinen Text regelrecht "gestolpert"... beim surfen. Und ich bin hängen geblieben. Danke für diese Gedanken, danke für diese tolle Geschichte - und danke, dass du die Essenz daraus auf den Punkt gebracht hast: "WIR SELBST bleiben. Unsere Essenz. Das was wir im tiefsten und höchsten Sinne SIND".
    Ich werde Dir folgen... Ciao.

  • #1

    Sascha Sandra Renger (Dienstag, 27 Februar 2018 14:26)

    Vielen Dank für den tollen Text. Es ist ein wundervolles und auch sehr befreiendes Gefühl, wenn man zu sich und zu dem stehen kann, was man ist - wozu man hierher gekommen ist. Nicht immer ist es leicht, dieses Licht, diesen Funken in einem zu sehen und auch anzunehmen. Und doch ist er da und möchte leuchten.